Wein richtig verkosten – Was kann man überhaupt schmecken?
Nuancen von roten Früchten mit leicht balsamischen Noten und erdigen Tönen im Abgang...
Ja die Fachsprache mag viele Menschen abschrecken und verunsichert beim Verkosten. Sie verbreitet Nervosität und sorgt für Scheue, das Geschmeckte auch auszusprechen. Wir möchten dem entgegenwirken.
Zunächst ist das Wichtigste, das wir allen auf den Weg in die Weinwelt mitgeben möchten: Trauen Sie sich! Es ist keine Prüfung und das, was Sie geschmacklich wahrnehmen, wird in vielen Fällen tatsächlich zu schmecken sein. Lassen Sie sich nicht vorschreiben, was Sie zu schmecken haben, sondern versuchen Sie Ihren Geschmackssinn zu trainieren. Trainieren? Wein trinken! Gar nicht so schlimm oder? ;)
Für einen besseren Überblick und die nötige Struktur werden die in einem Wein vorkommenden Aromen in 3 Gruppen unterteilt: Primäraromen, Sekundäraromen und Tertiäraromen.
Die primären Aromen eines Weins hängen stark von der Rebsorte, dem Terroir (Boden, Klima etc.) und auch gewissen Eingriffen des Winzers ab. Diese Aromen können in die Fruchtrichtung gehen, wie z.B. Rote Früchte (Erdbeere, Himbeere, rote Kirsche), Zitrusfrüchte, Steinobst (Mirabelle, Aprikose, Pfirsich) oder auch tropische Früchte (Melone, Ananas, Banane). Je wärmer das Klima vor Ort ist, desto mehr werden sich die Fruchtnoten in Richtung reifer bzw. tropischer Früchte entwickeln. Stellen Sie sich auch immer die Frage des Zustands der Frucht. Beispiel Zitrone: Ist es eine reife oder eher unreife Zitrone? Ist es eher frischer Zitronensaft oder eher die Schale? Ist die Schale frisch, getrocknet oder süßlich kandiert? Diese Fragen helfen ungemein bei der Zuordnung eines Aromas. Neben Früchten können auch blumige Noten (Kamille, Rose, Veilchen), Kräuter (Rosmarin, Thymian, Dill), erdige Noten (nasse Steine, Erde), Gewürze (Pfeffer, Lakritz) zu finden sein.
Die Gruppe der Sekundäraromen entstehen durch Gärung, den Kontakt mit Holz und Hefe oder auch dem sogenannten biologischen Säureabbau. Doch eins nach dem anderen: Holz: Neue Eichenfässer werden ausgekohlt, das sogenannte Toasting. Hierbei karamellisiert der natürliche Zucker des Holzes und es entstehen Vanillin-Verbindungen. Noten von Vanille, Nelken, Zimt und süßen Gewürzen sind ein gutes Indiz, dass der Wein in neuen Holzfässern vergoren oder gelagert wurde. Ein verlängerter Kontakt des Weins mit der Feinhefe verleiht dem Wein Struktur und Noten von Brioche, Brotteig oder Toast. Nun zum biologischen Säureabbau: Hier wandeln Milchsäurebakterien die im Wein vorhandene, relativ spitze Apfelsäure in die deutlich weichere Milchsäure um. Hierbei können Noten von Butter, Sahne oder Joghurt entstehen. Da der Winzer diesen Vorgang zulassen aber auch unterbinden kann, ist es wie beim Einsatz von neuem Holz oder auch der verlängerten Hefestandzeit eine persönliche Entscheidung und von verschiedensten Faktoren abhängig.
Die Gruppe der Tertiäraromen darf sich mit Fug und Recht „Freakshow“ schimpfen. Diese Aromen entstehen durch Lagerung. Bei der Fruchtreife verändert sich das Aroma von einer frischen Frucht hin zu Trockenobst oder teils auch marmeladigen Tönen. Der Korken lässt eine Mikrooxidation zu, sodass der Wein auch von Flaschenreife profitieren kann. Hier entstehen Noten wie Kaffee, Nüsse, Karamell, aber auch (Achtung, jetzt kommt die Freakshow) Tabak, Pilzen, Leder, Petrol. Das klingt zunächst wenig einladend, kann aber in der richtigen Dosis genial sein.
Aber bedenke: Nicht jeder Wein ist für eine lange Lagerung geeignet. Um lagerfähig zu sein sollte ein Wein viel Säure, viel Süße oder viel Tannin haben, gerne auch in Kombination. Haben wir nun einen Wein, der primär nach Erdbeeren, roten Kirschen, roten Pflaumen, nassen Steinen, Kräutern der Provence schmeckt, durch eine Lagerung im Holz Noten von Vanille, Nelken und Zimt aufweist und auch schon erste Tertiärnoten wie Tabak, Leder und Dörrpflaume mit sich bringt, darf sich dieser Wein durchaus komplex nennen. Doch auch ein Wein, der sekundär nur leichte Hefetöne bietet, sich aber in der Primäraromatik wahnsinnig vielfälig zeigt, kann äußerst komplex sein.
Jetzt sind Sie dran, schnappen Sie sich ein Glas, einen Wein und Freunde und beginnen Sie, Ihre Geschmacksnerven zu trainieren. Nutzen Sie dafür als Hilfestellung das Aromarad (hier gehts zu unseren Empfehlungen). Es hilft zu Beginn wirklich ungemein.
Als abschließende Motivation: Wein ist, aus mikrochemischer Sicht, nach dem menschlichen Blut die komplexeste Flüssigkeit. Schmecken Sie also etwas raus, das Sie verwirrt, lassen Sie sich nicht entmutigen. Es ist unfassbar viel möglich in der Welt des Weins.
In diesem Sinne, Cheers!